FAQ

Warum muss auch die Anästhesie und Intensivmedizin ihren Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten?

Der überwiegend menschengemachte, durch die Emissionen von Treibhausgasen induzierte Klimawandel und die dadurch bewirkten Veränderungen (Hitzewellen, Überschwemmungen, Nahrungs- und Wasserversorgung, Ausbreitung von tropischen Erkrankungen etc.) werden unseren Planeten maßgeblich verändern. Es herrscht internationaler Konsens, dass dies auch einen erheblichen Einfluss auf den Gesundheitszustand der Weltbevölkerung haben wird.

Der Gesundheitssektor trägt mit 4,4% der globalen Treibhausgasemissionen (Stand 2014 [1]), mit lokal großen Unterschieden von 7,6 (bis 10)% in den USA und 1,5% in Indien [2], einen nicht zu vernachlässigbaren Teil dazu bei.

Die Anästhesiologie und Intensivmedizin zählt zu den Bereichen eines Krankenhauses mit sehr großem Bedarf an diversen Ressourcen: Medikamente, Material, hoher Energieverbrauch mit vielen technischen Geräten und lebenserhaltenden Maschinen verursachen etwa die Hälfte der Emissionen im OP-Bereich [2–4].

Abgesehen von klassischen Treibhausgasen (z.B. CO2) ist die Medizin auch ein Emittent von Ozonschicht schädigenden Gasen (1% der weltweiten Emissionen), karzinogenen- und nicht-karzinogenen Abgasen (1-2% der weltweiten Emissionen) sowie sauren Regen erzeugenden Emissionen (u.a. Stickoxide wie Stickstoffmonoxid oder Lachgas, bis zu 12% der Gesamtemissionen) [5]. Im Bereich der Anästhesiologie kommt der Nutzung von volatilen Anästhetika zur Aufrechterhaltung der Narkose oder Sedierung auf der Intensivstation eine besondere Bedeutung zu (siehe dazu nächsten Punkt).

 

Die wichtigesten Begriffe kurz erklärt:

CO2e: CO2-Äquivalent

Emissionen  durch  andere Treibhausgase als  CO2  können  in CO2-Äquivalente umgerechnet werden. Hierzu werden reale  Emissionen  mithilfe  ihrer  Masse und  der  Global  Warming  Potentials  in eine  entsprechende  Menge  von  CO2  mit vergleichbarem Effekt in der Atmosphäre umgerechnet.

GWP: Global Warming Potential

Das Global Warming Potential oder Treibhauspotenzial beschreibt den stoff-spezifischen Treibhauseffekt im Vergleich  zum  Referenzgas  CO2  über einen gewissen Zeitraum. Meist wird der Zeitraum von 100 Jahren (GWP100) gewählt.

LCA: Life Cycle Assessment

Wie groß der CO2-Fußabdruck verschiedener Sachartikel, Medikamente oder Behandlungsmaßnahmen  tatsächlich  ist, kann ein Life Cycle Assessment ermitteln.  Hierbei  wird  der  ökologische Fußabdruck „von der Wiege bis ins Grab”  analysiert.  Berücksichtigt  werden  dabei 1) Gewinnung des Rohstoffes, 2)  Verarbeitung und Manufaktur, 3)Transportwege und Verpackung, 4) Nutzung,  Wiederverwertung  und  Instandhaltung, 5) Recycling und 6) Entsorgung. Wichtige Faktoren sind  neben  der CO2-Freisetzung  auch  der  Wasserverbrauch und die Freisetzung von Toxinen.

 

Was hat den größten Einfluss auf die Umwelt im Bereich der Anästhesie?

Den mit Abstand größten Einzeleffekt im Bereich der Anästhesiologie haben die volatilen Anästhetika zur Aufrechterhaltung der Narkose im Operationssaal und Sedierung auf der Intensivstation. Zusätzlich sind nicht zu vernachlässigende Bereiche: Energieverbrauch (in Abhängigkeit von der jeweiligen Stromquelle), Medikamente und Abfallmanagement.

 

Wie sieht der Umwelteinfluss der volatilen Anästhetika im Vergleich aus?

Inhalationsanästhetika der Fluranegruppe (Desfluran, Isofluran, Sevofluran) sind Fluor- bzw. Fluorchlor-Kohlenwasserstoffe und überdauern wie Lachgas als weiteres weit verbreitetes Anästhetikum viele Jahre in der Atmosphäre. Hier verursachen sie relevante Effekte auf die Erderwärmung [3, 6-7].

Tabelle 1: Inhalationsanästhetika und ihre CO2-Äquivalente [8, 9]

                               Überdauern in Atmosphäre Erwärmungspotenial 100 Jahre Erwärmungspotential 20 Jahre
CO²             5-200 Jahre 1 1
FCKWs   50 - 100 Jahre 10.900 11.000
Lachgas   114 Jahre 298 289
Desfluran  9-21 Jahre 893 - 2.540 6.810
Isofluran 2,6 - 6 Jahre 191 - 510 1800
Sevofluran  1,1 - 5,2 Jahre 58 - 130 440

 

Eine gern gewählte Veranschaulichung ist der Emissionsvergleich zu gefahrenen Kilometern eines modernen KFZs [10]:

Die Treibhausgasemissionen einer 2-stündigen Anästhesie, mit einem Frischgasfluss von 1l/min entsprechen bei Desfluran 608 km, bei Sevofluran mit einem Frischgasfluss von 2 L/min lediglich 26 km.

 

Wie kann meine Abteilung am effektivsten etwas ändern?

Eine Maßnahme, die sofort von allen Anästhesist:innen, ohne organisatorischen/rechtlichen Aufwand umgesetzt werden kann, ist die Anwendung einer Low- bzw. Minimalflow-Anästhesie (Niedrigflussnarkose: Frischgasfluss < 1 L/min, besser ≤0,5 L/min). Noch etwas besser schneidet wahrscheinlich eine TIVA in der ökologischen Bilanz ab - es liegen jedoch z.T. widersprüchliche Daten vor.

Hier ist Bewusstseinsbildung und Schulung (eventuell auch mit Plakaten im OP-Saal) ein wichtiger erster Schritt.

Als mittel- und langfristige Ziele ist folgende Reihenfolge zu empfehlen, es sei jedoch angemerkt, dass manche Umsetzungen langwierig sind und dies in der Herangehensweise bedacht werden sollte:

  • kein Lachgas verwenden und es auch nicht mehr in die Gasversorgung einspeisen (hohe Verluste im Leitungssystem möglich)
  • Desfluran strengstens indizieren
  • Narkosegasrecyclingsystem anschaffen
  • falls möglich: Anästhesiegas-Fortleitungssystem (AGFS)  bei Narkosegas-Recycling vollständig oder zumindest außerhalb des Dienstbetriebes deaktivieren (hoher Energieverbrauch)
  • Recycling- und Mülltrennungssystem etablieren/optimieren

 

Wie sieht es mit den aktuellen Entwicklungen und Erfahrungen rund um´s Narkosegasrecycling aus?

Derzeit wird das überschüssig ausgeatmete Atemgas, welches auch Narkosegase wie etwa Sevofluran beinhaltet, über Absaugsysteme (AGFS) ungefiltert an die Atmosphäre abgegeben.

Seit einigen Jahren gibt es die Möglichkeit des Anästhesiegasrecyclings. Dabei werden mithilfe von Aktivkohlefilter, welche mit und ohne AGFS eingebaut werden können, die Narkosegase aus der Abluft des Anästhesiegerätes aufgefangen. Die gesättigten Filter werden dann wieder zurück an die Firma gesendet und das Narkosegas mit speziellen Verfahren wiedergewonnen. Diese Narkosegase können wiederverwendet werden.

Je nach verwendeten Narkosemaschinen ist die Umrüstung für das Narkosegasrecycling mit einem Set bestehend aus einer Filterkartusche, einer Sensoreinheit (Füllstandsanzeige, benötigt eine Steckdose, jährliche Wartung) und austauschbaren Narkosegasfiltern (Aktivkohle, Auffangkapazität ca. 1 Flasche Anästhetikum) relativ einfach durchführbar. Vor der Umstellung kann die Narkosemaschine in den passiven Modus (Betrieb ohne AGFS) gebracht werden: bei einigen Maschinen einfach via Softwareumstellung, bei anderen ist eine Hardware-Umrüstung notwendig. Die Kosten und Aufwand einer Umstellung können bei der jeweiligen Herstellerfirma erfragt und müssen auch abgestimmt werden (Stichwort: Umstellung passiver Modus ohne AGFS). Zu beachten sind die Menge des Kondenswassers in der Abluft und Kapazitätssprünge der Abluftschläuche.

Sobald ein Filter die Kapazitätsgrenzen erreicht hat, wird über die Füllstandsanzeige (Lichter in Ampelfarben, bei vollständiger Füllung auch akustisches Signal) angezeigt, dass der Filter ausgetauscht werden muss. Die gesättigten Filter werden zu sechs Stück pro Karton (auch palettenweise) an den Hersteller versendet, wo das Narkosegas wiedergewonnen werden kann.

Zentrale Filtersysteme werden unserem Kenntnisstand nach bisher nur von einer Firma angeboten, weitere Firmen auch im deutschsprachigen Raum stehen vor Ausrollen der Technik.

Zur Zeit liegen nur wenige Daten zur Effizienz vor, größere Studien sind in Planung.

 

Welche anderen Umwelteinflüsse gibt es in unserem Arbeitsbereich und wie kann ich sie ggf. optimieren?

Energiemanagement:

Energieverbrauch ist ebenfalls ein großes Thema in Krankenhäusern, nicht nur wegen der gestiegenen Kosten. Energiesparmaßnahmen sind jedoch nicht überall etabliert, die Effizienz dieser Maßnahmen lässt sich häufig auch schwer quantifizieren. Möglichkeiten eines verbesserten Energiemanagements wären:

  • Abstecken der Anästhesiegas-Absaugung bzw. -fortleitung außerhalb des Dienstbetriebes oder generelles Abstellen bei Verwendung eines dezentralen Anästhesiegas-Absorbers (nach derzeitigem Kenntnisstand ca 55 kWh pro Anästhesiearbeitsplatz pro Tag bei dauerhaftem Abstellen)
  • Außerhalb von Akutbereichen sollten Geräte möglichst ausgeschaltet werden (Computer, Monitore, Beatmungs- und andere Anästhesiegeräte, und weiteres)
  • Optimierung der Einstellung für Temperatur und Lüftung in ungenützten nicht-Akut-OPs nach der Kernarbeitszeit und am Wochenende.

Abfallmanagement:

Es wird geschätzt, dass ca. 10-20% des CO2-Gesamtfußabdruckes des Gesundheitswesens durch Müll verursacht wird, wobei rund ein Drittel aus dem chirurgischen Sektor (inkl. Anästhesiologie und Intensivmedizin) stammt. [11,12] Durch geschickte Abfalltrennung lassen sich zumindest Teile davon recyceln. [11]

Neben dem Recycling muss jedoch auch die Reduktion des Mülls dringlich verbessert werden. Informationen über Sinnhaftigkeit von Wiederverwendbarkeit unter Beachtung von Hygienevorgaben sind für viele Geräte, Geräteteile, Verbrauchsmaterialien usw. nicht überall verfügbar, sie sind auch abhängig vom Hersteller und lokalen Gegebenheiten und Möglichkeiten hinsichtlich der Wiederaufbereitung sowie von der Art der Energiebereitstellung. Möglichkeiten zur Verbesserung des Abfallmanagements:

  • Regelmäßige Personalschulung bezüglich Abfalltrennung und Recycling
  • kleinteiligere Abfalltrennung, sortenreines Plastik
  • (Lebenszyklus-) Analysen hinsichtlich Ein- und Mehrweg-Verwendung und weniger Verpackungsmaterialien
  • ressourcenschonende Zusammensetzung von Fertigsets für Routineinterventionen (ZVKs, Regionalanästhesie, Blasenkatheter)

Medikamente:

  • Verbesserung des Medikamentenmanagements, um den Verwurf so gering wie möglich zu halten
  • Forderung an die Hersteller von Medizinprodukten und Medikamenten zur Angabe eines vollständigen Life Cycle Assessment (Umweltbilanz)

 

Ich möchte in meinem Krankenhaus ein "Green Team" gründen. Wer sollte daran beteiligt sein?

Es ist wichtig von Anfang an alle direkt Beteiligten mit an Bord zu holen. Somit empfiehlt sich ein Kernteam aus Pflege, Ärzt:innen und Technikern, erweitert um die Betriebsführung, Krankenhaus- und/oder Abteilungsleitung und das Einbinden der Hersteller.

 


Referenzen zum FAQ

[1] Karliner J, Slotterback S, Boyd R, Ashby B, Steele K: Health care‘s climate footprint. How the health sector contributes to the global climate crisis and opportunities for action. Health Care without Harm (HCWH) and Arup 2019

 

[2] Kagoma Y, Stall N, Rubinstein E, Naudie D: People, planet and profits: the case for greening operating rooms. CMAJ 2012;184(17):1905–1911

 

[3] Vollmer MK, Rhee TS, Rigby M, Hofstetter D, Hill M, Scheonenberger F, et al: Modern inhalation anesthetics: potent greenhouse gases in the global atmosphere. Geophys Res Lett 2015;42:1606–1611

 

[4] SDU: Carbon Footprint from Anaesthetic gas use. Cambridge: Sustainable Development Unit, National Health Service (NHS) 2013

 

[5] Eckelman, MJ, Sherman, J., 2016. Environmental impacts of the US health care system and effects on public health. PLoS One 11 (6), e0157014. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0157014

 

[6] Pierce JM. The environment, the gas bill and the route to sustainable anaesthesia. Bulletin 2013: 39–41.

 

[7] Hu X, Pierce JT, Taylor T, Morrissey K. The carbon footprint of general anaesthetics: A case study in the UK. Resources, Conservation and Recycling 2021; 167: 105411. https://doi.org/10.1016/j.resconrec.2021.105411

 

[8] Varughese S, Ahmed R. Environmental and Occupational Considerations of Anesthesia: A Narrative Review and Update. Anesth Analg 2021; 133: 826–35. https://doi.org/10.1213/ANE.0000000000005504.

 

[9] Schuster M, Richter H, Pecher S, Koch S, Coburn M. Positionspapier mit konkreten Handlungsempfehlungen* der DGAI und des BDA: Ökologische Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie und Intensivmedizin. Anästhesiologie und Intensivmedizin 2020: 329–39. https://doi.org/10.19224/ai2020.329.

 

[10] Sherman JS, Feldman J, Berry JM. Reducing Inhaled Anesthetic Waste and Pollution. Anesthesiology News April 13, 2017.

 

[11] MacNeill AJ, Lillywhite R, Brown CJ. The impact of surgery on global climate: a carbon footprinting study of operating theatres in three health systems. Lancet Planet Health 2017; 1: e381-e388. https://doi.org/10.1016/S2542-5196(17)30162-6.

 

[12] Babu MA, Dalenberg AK, Goodsell G, Holloway AB, Belau MM, Link MJ. Greening the Operating Room: Results of a Scalable Initiative to Reduce Waste and Recover Supply Costs. Neurosurgery 2019; 85: 432–37. https://doi.org/10.1093/neuros/nyy275.

Letzte Aktualisierung am 08.02.2023

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