Kommentar Priv.-Doz. Dr. H. Schöchl und Dr. J. Gratz:
Seit nun über einem Jahr hat COVID-19 den klinischen Alltag – insbesondere jenen von intensivmedizinisch tätigen Kolleg*innen – wesentlich verändert. Einer von vielen (wesentlichen) Teilaspekten in der intensivmedizinischen Betreuung von Patient*innen mit COVID-19 ist die Prophylaxe und Therapie thromboembolischer Ereignisse. Wenngleich vor allem am Beginn der Pandemie einzelne Arbeiten mit Inzidenzen venöser thromboembolischer Ereignisse (VTE) von bis zu > 80% bei kritisch kranken Patient*innen mit COVID-19 aufhorchen ließen, waren belastbare Daten hierzu lange nicht verfügbar.
Unter Beteiligung von Mitgliedern der Arbeitsgruppe Perioperative Gerinnung erschien daher rezent ein systematischer Review, der anhand von 5.400 eingeschlossenen kritisch kranken Patient*innen mit COVID-19 einen globalen Überblick über diesbezügliche Inzidenzen bietet. Ziel der Arbeit war es klinisch relevante VTE herauszufiltern und daher eine Reihe relevanter Aspekte, wie etwa Details zur durchgeführten Diagnostik (Stichwort Zufallsbefunde), zu erheben und in eine umfassende Analyse der Daten einfließen zu lassen. Über den oben angeführten Link steht die Publikation frei zum Download zur Verfügung. Weiters finden Sie hier sowie unter Downloads - Intensivbehandlung die mit April 2021 neuerlich aktualisierten Empfehlungen der Arbeitsgruppe Perioperative Gerinnung zum Thema "Gerinnungsmanagement bei COVID-19".
Kommentar Dr. J. Gratz:
Erste publizierte Daten, sowie eine Reihe anekdotischer Berichte geben Hinweise darauf, dass COVID-19-PatientInnen eine ausgeprägte Gerinnungsaktivierung aufweisen. Vor allem bei schwereren Krankheitsverläufen scheint dies mit einem potentiell höheren Thromboembolierisiko einherzugehen. Hieraus ergibt sich die Frage nach einem entsprechenden Gerinnungsmanagement, insbesondere bei PatientInnen, die auf der Intensivstation betreut werden.
Gerade in Zeiten wie diesen ist es ob der Menge an neuen Informationen für den Kliniker oft nur schwer möglich, "up to date" zu bleiben. Als Arbeitsgruppe Perioperative Gerinnung haben wir daher nach Durchsicht der aktuellen Literatur und in Zusammenschau mit dem Vorgehen unterschiedlicher österreichischer Zentren Empfehlungen für das Gerinnungsmanagement bei dieser speziellen Patientengruppe verfasst. Das AGPG-Dokument „Gerinnungsmanagement bei COVID-19“ finden Sie unter Downloads - Intensivbehandlung bzw. hier.
Kommentar Dr. Kostja Steiner und Dr. Johannes Gratz:
In der CRASH-3 Studie, die randomisiert, Placebo-kontrolliert, die Anwendung von Tranexamsäure bei PatientInnen mit Schädelhirntrauma untersucht hat, schlussfolgern die Autoren: „Our results show that tranexamic acid is safe in patients with TBI and that treatment within 3 h of injury reduces head injury-related death. Patients should be treated as soon as possible after injury.“
Die Studie wurde als internationale Multicenterstudie in 29 Ländern an ca. 13.000 PatientInnen durchgeführt und war im Setting der CRASH-2 Studie ähnlich. Tranexamsäure wurde in der Dosierung von 1g über 10 Minuten als Loading Dose gefolgt von 1g kontinuierlich über 8 Stunden verabreicht. Eingeschlossen wurden erwachsene PatientInnen mit GCS ≤12 oder einer im CT nachgewiesenen intrakraniellen Blutung innerhalb von 3 Stunden nach Trauma, ohne schwere extrakranielle Blutung. In der Tranexamsäuregruppe betrug die Sterblichkeit 18,5%, in der Placebogruppe 19,8% was einem relativen Risiko (RR) von 0,94 (95% KI 0,86-1,02) entsprach.
In einer kritischen Betrachtung gibt es - wie bei jeder Studie - diskussionswürdige Punkte. Ursprünglich wurden auch PatientInnen in einem Zeitraum von bis zu 8 Stunden nach Trauma eingeschlossen. Die Einschlusskriterien wurden im September 2016 auf innerhalb von 3 Stunden abgeändert und die Studiengröße nachträglich von 10.000 auf 13.000 PatientInnen erhöht. Dies stellt einen methodischen Schwachpunkt der Studie dar.
Weiters wird in der Publikation nicht erwähnt: 1.) welche neurochirurgischen Interventionen stattgefunden haben, 2.) ob es PatientInnen mit gerinnungshemmender Therapie vor Trauma gab und 3.) ob es Unterschiede zwischen epiduralen, subduralen, subarachnoidalen oder intraparenchymalen Blutungen gab. Dies wäre gerade bei einer so großen PatientInnenanzahl interessant zu wissen, um Rückschlüsse ziehen zu können, ob Tranexamsäure bei allen Blutungen gleich wirksam ist.
In den Subgruppenanalysen zeigte sich, dass PatientInnen mit schwerem Schädelhirntrauma - gekennzeichnet durch eine GCS von 3 bis 8 oder beiderseits lichtstarren Pupillen - und daher einer an sich sehr hohen Mortalität von 40 bis 50%, nicht von Tranexamsäure profitiert haben. Im Umkehrschluss zeigte sich allerdings auch, dass bei den milden bis moderaten Schädelhirntraumen die Anwendung von Tranexamsäure die Mortalität im Vergleich zur Placebogruppe von 7,5% auf 5,8% (RR von 0,78 (95% KI 0,64-0,95)) senken konnte.
Nicht zuletzt scheint es auch erwähnenswert, dass im Gegensatz zur CRASH-2 Studie keine erhöhte Mortalität bei späterer Tranexamsäuregabe (mehr als 3 Stunden nach Trauma) beobachtet wurde. Die Thromboserate war mit < 1% sehr niedrig und lag damit deutlich unter den bisherigen Ergebnissen der Vorgängerstudien.
Somit führt die CRASH-3 zur Empfehlung der Tranexamsäureapplikation beim Schädelhirntrauma und bestätigt, dass Tranexamsäure ein sicheres Arzneimittel in der Versorgung von blutenden TraumapatientInnen ist
Die Original Publikation wurde open access publiziert und ist hier erhältlich.
Kommentar Dr. J. Gratz und Dr. M. Wiegele:
Eine kürzlich im NEJM erschienene Studie von Arabi und KollegInnen untersuchte den Nutzen einer kombinierten Thromboseprophylaxe an über 2000 IntensivpatientInnen. Auf den ersten Blick zeigte diese Studie keinen Benefit hinsichtlich der Inzidenz tiefer Beinvenenthrombosen, wenn eine intermittierende pneumatische Kompression zusätzlich zur medikamentösen Prophylaxe verwendet wurde. Dieses Ergebnis führte zu Verunsicherung und Diskussionen bezüglich des generellen Stellenwertes der mechanischen Thromboseprophylaxe bei IntensivpatientInnen.
Wie so oft lohnt sich jedoch ein zweiter Blick um die Studienergebnisse auch im Kontext der eigenen medizinischen und organisatorischen Gegebenheiten beurteilen zu können. Mitglieder der AGPG haben daher kürzlich in einem Artikel der "Intensiv-News" der Österreichischen Gesellschaft für Internistische und Allgemeine Intensivmedizin und Notfallmedizin zum Thema Stellung genommen. Den Originalbeitrag finden Sie hier.
Zusammenfassung von ao. Univ.-Prof. Dr. P. Knöbl, Medizinische Universität Wien/AKH Wien, Universitätsklinik für Hämatologie und Hämostaseologie
Bei der Behandlung der kongenitalen Hämophile haben sich in den letzten Jahren einige wichtige Neuerungen ergeben, die besondere Beachtung erforderlich machen, da sich dadurch die Interpretation von Laborergebnissen und das Management dieser Patienten entscheidend geändert haben.
Neben den Faktor VIII und -IX Konzentraten mit deutlich verlängerter Halbwertszeit (die spezielle Labortests, andere Dosierungen und Therapieintervalle erfordern) sind vor allem die non-factor Therapien und die Gentherapie im klinischen Alltag angelangt.
Emicizumab (Hemlibra®) ist ein bispezifischer monoklonaler therapeutischer Antikörper, der die Funktion des FVIII imitiert. Es ist bereits zur Behandlung der Hämophilie A mit und ohne Inhibitoren zugelassen und wird klinisch eingesetzt. Auch Patienten mit erworbener Hämophilie A wurden schon damit behandelt, die Substanz wird auch in dieser Indikation weiterhin oft verwendet werden.
Emicizumab wird in Dosierungen von 1,5 – 3 mg/kg KG alle 1 – 4 Wochen (je nach klinischer Situation) sc. verabreicht. Damit kann die jährliche Blutungsrate von Hämophilen oft auf 0 reduziert werden, ohne dass zusätzlich FVIII Konzentrate iv gegeben werden müssen. Mit der sc. Gabe von Hemlibra® werden steady-state Plasmaspiegel erzielt, die FVIII Aktivitäten von ca. 10-20 % entsprechen (also nicht komplett normalisiert werden).
Eine spezielle Eigenheit von Hemlibra® ist, dass schon nach der ersten Dosis die APTT bei Patienten mit Hämophilie (angeboren oder erworben) komplett normalisiert wird. Diese APTT ist somit falsch normal, man erkennt also die immer noch vorliegende schwere Gerinnungsstörung nicht. Auch konventionelle FVIII Aktivitätsbestimmungen, die auf dem Einstufen-Gerinnungstest basieren, liefern falsch hohe (teilweise sogar sehr hohe) FVIII Werte. Hier sind nur chromogene FVIII Bestimmungen aussagekräftig, dem Labor muss also mitgeteilt werden, dass der/die Patient/in mit Hemlibra® behandelt wird. Die Substanz ist schon nach der ersten Dosis über mehrere Wochen und Monate im Plasma nachweisbar und beeinflusst APTT und FVIII Werte.
Wenn also ein Patient unter Hemlibra® einen akuten chirurgischen Eingriff benötigt, zeigt eine normale APTT nicht, dass die Gerinnung normal funktioniert. Unter Hemlibra® sind zwar kleinere Eingriffe ohne erhöhtes Blutungsrisiko möglich, bei größeren Eingriffen muss jedoch eine zusätzliche Faktorsubstitution erfolgen. Patienten mit angeborener Hämophilie A ohne Inhibitoren bekommen dazu FVIII Konzentrate (konventionelle oder mit verlängerter Halbwertszeit), die Dosierung erfolgt nach Körpergewicht, das Monitoring mit chromogenen FVIII Assays unter Verwendung boviner Reagenzien. Patienten mit Hämophilie A (angeboren oder erworben) mit Inhibitoren bekommen dazu Novoseven® in einer situationsadaptierten Dosierung (40 – 90 mcg/kg iv alle 2 – 8 Stunden). Die Verwendung von FEIBA® bei Hemlibra®-behandelten Patienten ist strikt kontraindiziert.
In jedem Fall sollte bei Kontakt mit solchen Patienten unbedingt Kontakt mit dem Gerinnungsdienst und dem Labor aufgenommen werden um die individuelle Situation besprechen zu können.
Weitere non-Faktor Therapien sind zur Zeit noch nicht zugelassen, aber in weit fortgeschrittener klinischer Entwicklung. Substanzen wie Fitusiran oder Concizumab haben wieder andere spezifische Eigenheiten, die nach Zulassung und Verfügbarkeit kommuniziert werden. Gleiches gilt auch die Gentherapie, die für die angeborene Hämophilie A oder B knapp vor der Zulassung steht. Den vollständigen Beitrag finden Sie hier.
Kommentar Dr. M. Wiegele et al:
Im Falle eines Schädelhirntraumas stellt die (vermutete) Einnahme oraler Antikoagulantien betreuende Mediziner/-innen vor große Herausforderungen hinsichtlich Diagnostik, Reversierung/Therapie und Wiederbeginn der gerinnungshemmenden Dauermedikation. In Ermangelung evidenzbasierter Daten entschieden die betreuenden Teams bisher weitgehend individuell.
Um dieses Anleitungsvakuum zu füllen, lud die AGPG österreichische Expert/-innen aller betreuenden Disziplinen ein, gemeinsame Handlungsempfehlungen zu erstellen. Die Inhalte wurden anhand konkreter, klinischer Fragestellungen bearbeitet und im Februar 2019 im Critical Care (IF 6, 5) publiziert. Unter oben stehendem link steht das Paper gratis zum Download zur Verfügung.
Kommentar PD Dr. H. Schöchl et al:
In the PAMPer trial, prehospital low-dose plasma appeared beneficial for trauma patients.1 Mortality rates were 23% in the plasma group and 33% in the standard care group, while median injury severity scores (ISS) were 21 and 22, respectively. In contrast, a similar study by Moore et al. showed no survival benefit with prehospital plasma.2 In the Moore et al. study, and in the RETIC study of coagulation factor concentrates in trauma, mortality rates (4–15%) were lower than in PAMPer, despite higher ISS (27–35). 2,3 These findings raise questions regarding quality of care in PAMPer.
Prehospital plasma had no significant impact on TEG parameters in the PAMPer trial. A statistically significant between-group difference in prothrombin-time ratio was observed but, because median values were numerically similar (1.2 vs. 1.3), the clinical significance is questionable. Trauma patients may not require increased INR4 and, in any case, therapeutic plasma is acknowledged to have limited effectiveness in this regard. 5 The lower mortality in the plasma group is more likely attributable to increased circulation volume than improved coagulation.
Letzte Aktualisierung am 11.05.2021
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